Doch!
Dass das Bewusstsein in Sachen Gender bei Ingenieurinnen höher ist als im Durchschnitt, davon kann man ausgehen. Sehen wir uns das Thema trotzdem nochmal an. Und sei es nur, um bei der nächsten Gelegenheit gute Beispiele und Argumente zu haben, wenn man (mal wieder) auf die „Frau im Männerberuf“ angesprochen wird…
Das Binnen-I ist Gender? Äh … Nö.
Kolleginnen und Kollegen, MitarbeiterInnen, Forscher*innen und Studierende… dazu noch Politiker/innen und Chef_innen. Sprache macht was. Aber nicht alles…
Jeden Satz „genderkonform“ mit I’s zu versehen und alle Texte nach „gendergerechten Formulierungsvorgaben“ auszurichten, zeigt die löbliche Absicht. Bevor man nun jedoch alle Energie in eine politisch korrekte Form steckt, gibt es ein weit größeres Feld, was GENDER ausmacht. Wenn das mal funktioniert, rücken die korrekten Formulierungen wieder dahin wohin sie gehören, in den Hintergrund.
Fangen wir doch einfach mal damit an, das Geschlecht korrekt zu bezeichnen. Zum Beispiel auf den Formularen „Kundin“ aufzudrucken, wenn es eine Kundin ist. Und nicht „Kunde“. Oder von sich selbst zu sagen: „Ich bin Informatikerin.“ Nicht: „Ich bin Informatiker.“ Ja, sowas gibt’s noch, auch 2018!
Natürlich ist die Textgestaltung ein dankbarer Ausgangspunkt. Nur sollte man da nicht bleiben. Sondern den Perfektionismus beim Formulieren beiseitelegen, um mutig und forsch in medias res zu springen.
Ein Sprung über’s Meer
Sturm über der Karibik. In Haiti fliegen ganze Dörfer weg. … und wer räumt nachher das Chaos auf: Die Frauen!
Tsunami im Pazifik. Die Welle rollt an die Küste. Warum ertrinken mehr Frauen als Männer?
- Weil mehr Männer ein Handy besitzen und so früher von der Gefahr erfahren
- Weil die Kleidung der Frauen ihre Rettung erschwert: Entweder ist sie so unpraktisch, dass sie nicht so schnell weglaufen oder aufs Dach klettern können, um den Fluten zu entkommen. Oder sie sind (nachts zu Hause) so gekleidet, dass sie sich so nicht in der Öffentlichkeit zeigen dürfen
DAS ist Gender.
Ist Geschlechterungerechtigkeit nur ein Problem der „armen Länder“?
Das Beispiel oben ist drastisch. Bedeutet das, dass Gechlechtergerechtigkeit bei uns keine Rolle mehr spielt? Ist „zu Hause alles gut“? Ich denke nicht. Sehen wir uns also mal in der näheren Umgebung um…
In der Schule
Nach der Informatikstunde in der Schule: Wer räumt die Legokästen mit den Lego-Mindstorms wieder ein? Die Mädchen? Wer bringt die Notebooks ins Lehrerzimmer? Die Jungs? Ha, erwischt!
DAS ist Gender.
Arbeit und Karriere
Gern genommen beim Berufseinstieg. Aber auch später hat man als Frau den Spaß, solche Situationen immer mal wieder zu entdecken. Sei es real oder als Andeutung im Gespräch.
- Wer kocht Kaffee?
- Wer schreibt das Protokoll?
- Wer macht die Doku?
- Wer räumt am Ende den Besprechungsraum auf?
- Wer wird für Äußerlichkeiten gelobt? Für Fleiß?
Was macht das mit der Karriere?
DAS ist Gender.
Arbeit und Elternsein
- Elternzeit: Jetzt nehmen mehr Männer sich Zeit für die Familie. Super!
- Super? Die meisten Väter nehmen 2 Monate der Elternzeit. Also 2 x 1 Monat…
- … und der Rest wird von den Müttern genommen, die dann lange am Stück vom Arbeitsplatz abwesend sind.
- Was macht das wohl mit den Vorgesetzten, die eine verantwortungsvolle Position zu besetzen haben? Werden die eher die jungen Väter oder die jungen Mütter befördern? Wie isses denn bei Euch im Betrieb, in der Firma?
… und was macht das mit der nächsten Generation? Jungs, Mädchen, … was lernen sie hierbei viel zu anschaulich?
DAS ist Gender.
Frauenförderung ist Gender? Äh … Nö.
Frauenförderung ist nur Art von eine Maßnahmen, die man ergreift. Eine Reaktion auf die Beobachtung, wo noch Gerechtigkeit fehlt. Dort, wo Männer Nachteile haben, muss es Männerförderung geben!
Was konsequenterweise bedeutet, dass Männer mehr Zeit für Dinge haben, die der Gesellschaft anders zu Gute kommen: Familienzeit, Ehrenamt etc. Meinetwegen auch das Ausleben von Leidenschaften oder Hobbys, die der Wirtschaft womöglich zusätzliches Geld einbringen.
Forderung: „30 % Frauen in die Vorstände!“ Wirklich? Finde ich nicht. „70 % Männer in den Vorständen reicht!“ Huch? Genau! Männerquote!
DAS ist Gender.
Männer profitieren nicht von Gender? Äh… Doch.
Jungs, die mit Puppen spielen. Die sich wünschen, zu Karneval als Haremsdame aufzutreten. Oder die später mal „männliche Erzieherin“ werden möchten. Wer zuckt? Die Eltern, Großeltern, Nachbarinnen?
Und Männer, die gern bunte Klamotten tragen würden? Rote Jeans? Rosa Sakko? Mächtige Männer, die über ihre Schwächen reden können, ohne gleich eine „Und-dann-hab-ich-die-Welt-doch-erobert“-Etitüde draus machen zu müssen. Einfach mal Mensch sein dürfen?
Das ist doch sicher nicht nur für die Frauen eine Vision, die einigen Druck wegnimmt.
DAS wäre Gender.
Jetzt mal Klartext!
So, nach den vielen Beispielen sehen wir uns mal eine Definition des Begriffs an:
Gender bezeichnet das soziale Geschlecht und eine gesellschaftliche Analysekategorie gesellschaftlicher Machtverhältnisse.
Der Gender-Ansatz
Der Ansatz besteht aus drei Teilen
• Gender Mainstreaming
• Empowerment
• Politikdialog
(Quelle: Dr. Birte Rodenberg, Analyse für Kindernothilfe e.V.)
Methodik für Gender-Analysen
Die 3-R-Methode
Die 3-R-Methode stammt aus Schweden. Dort wurde sie in den 1990er Jahren entiwckelt. Sie ist gut erlaubt, Unterschiede in den untersuchten Gruppen und Ursachen für mangelnde Gleichstellung relativ einfach zu ermitteln.
Hat man sich ein Bild der Situation gemacht, kann man leichter geeignete Maßnahmen schaffen.
Quelle und Bildquelle:
https://gender-mainstreaming.rlp.de/de/gender-mainstreaming/instrumente-und-methoden/die-3-r-methode/
Die Situation: Verhalten und Machtverhältnisse
Schließlich noch ein paar Stichworte zur Situation. Quasi als Basisargumente – leider schon sooo oft gehört. Hilft nix. Die sollte man sich tunlichst auch nochmal ansehen vor der nächsten „Argumentationgelegenheit“. Also, durchlesen, mit der eigenen Erfahrung abgleichen und mit den Beispielen oben zu eleganten Debattenbausteinen kombinieren. Voila!
Verhalten, das Männern in rein männlichen Gruppen bescheinigt wird
- Generalisieren, für andere sprechen
- Von einem Thema zum anderen springen
- Aufgaben- und Sachorientierung
- Wettbewerbsorientierung in der Gruppe. Wer ist der Überlegene?
- Bringen ihren Ärger leicht zum Ausdruck
- Zeigen Stärke und verstecken Schwäche
- Erzielen Gemeinsamkeit durch Austausch über Ereignisse und Witze machen
- Bemessen Identität und Status nach Leistung
- Stehen nicht zu ihren Gefühlen; Gefühle werden geleugnet oder unterdrückt
- Schieben die Schuld eher anderen zu
Verhalten, das Frauen in rein weiblichen Gruppen bescheinigt wird
- Äußern sich persönlich, sprechen für sich selbst
- Thematisieren auch Gefühle; Selbstenthüllungen
- Prozessorientierung
- Erzielen von Nähe durch Diskussion und durch Gespräche über sich selbst und Persönliches
- Nehmen sich gegenseitig wahr – Identität und Status basieren auf Beziehungen
- Diskutieren länger über ein Thema
- Zeigen Kooperation; wollen anderen in der Gruppe gefallen; bieten Hilfe an
- Zeigen Schwächen und Verletzlichkeit, verstecken oder halten Stärke zurück
- Drücken Ärger nur schwer aus
- Zeigen Gefühle und verbalisieren diese auch
- Machen sich für Fehler verantwortlich
Verhalten in gemischten Gruppen
-
- Männer beanspruchen mehr Redezeit, Frauen fassen sich oft kürzer
- Frauen werden sehr viel häufiger von Männern unterbrochen
- Beiträge von Männern und Frauen werden unterschiedlich bewertet und gewichtet
- Vorschläge von männlichen Gruppenmitgliedern werden mehr beachtet
- Themen von weiblichen Gruppenmitgliedern werden weniger gewichtet
- Frauen leisten mehr kommunikative Unterstützungsarbeit
- Frauen starten oft mit verbalen Rückziehern. Männer kommen schneller zur Sache
- Lautstärke von Gesprächsbeiträgen unterscheidet sich: Frauen sprechen leiser
Gerade das Verhalten in gemischten Gruppen zeigt, wie Geschlechter- und Machtverhältnisse verteilt sind.
Quelle der Verhaltensaspekte:
https://www.gwi-boell.de/sites/default/files/assets/gwi-boell.de/images/downloads/Uebungen_Maenner-verhalten-sich-anders.pdf
Weiter lesen und denken
Wer hierzu oder zu anderen Aspekten noch tiefer ins Thema hinabtauchen möchte, der seien folgende Links empfohlen:
- Pinkstinks – Kampagnen gegen diejenigen, die an der Angst vor neuen Geschlechterrollen nicht nur grandios verdienen und diese Angst schüren:
https://pinkstinks.de/ - Gender-Toolbox der Heinrich-Böll-Stiftung:
https://www.gwi-boell.de/de/2010/03/31/gender-toolbox-%C3%Bcbungen
Maria