Alles eine Frage der Zeit
„Erst wenn man die Dimension der Zeit genauer betrachtet, versteht man auch die Stellung des Menschen in der Natur und all die Miseren, die er dort anrichtet.“
Zeitnot und Hektik, Zeit ist Geld – und alle kämpfen gegen alles Langsame. Dafür zahlt die Natur einen Preis: Die Menschen mit Erschöpfung, die Erde mit einer ökologische Krise. Was die Natur in Jahrtausenden bereitgestellt hat, wird in kürzester Zeit verbrannt.
Ein Physiker, der auch Philosophieprofessor ist, ein Zeitexperte und ein Zeitberater erklären die Zusammenhänge.
Das Buch startet mit der Geschichte unseres Umgangs mit der Zeit. Es zeigt, wie drastisch sich unser Leben mit der Verbreitung der mechanischen Uhr geändert hat und wie eng die Ökonomisierung von Zeit mit den aktuellen Krisen zusammenhängt. Es blättert eine Vielfalt an Zeitformen auf, die in der heutigen Beschleunigungsmonokultur untergehen:
- Den Sinn für ein angemessenes Tempo,
- den Sinn für das Langsame,
- die stabilisierende Funktion von Wiederholungen und Ritualen oder
- den Wert des Wartens und der Pause.
Die Vorschläge für eine andere Zeitkultur halte ich für klug. Ich denke, sie können tatsächlich helfen, die Zukunft konstruktiv zu gestalten. Sie sind an sich konstruktiv, gut durchdacht und zielführend. Ob sie realistisch oder realisierbar sind…? Vielleicht. Meiner Einschätzung nach eher später als früher (leider). Denn sie zu kennen ist das eine, sich selbst danach zu richten das andere. Und dann sind da ja noch die anderen, gruppendynamische Effekte, Politik, …
Der Schritt von der Theorie in die Praxis erscheint mir (zu) weit – diejenigen Personen und Institutionen und Organisationen, die am meisten ändern könnten/sollten, kann ich mir als Leserschaft hier nicht recht vorstellen.
Ohne akademisches Interesse wird man es schwer haben, das Buch zu lesen: Man muss sich schon ein bisschen konzentrieren, die Sätze sind doch mal ungewohnt formuliert und die Wörter nicht ganz alltäglich. Und die Konzepte muss man dann ja auch noch erfassen. Vielleicht sollte ich das nicht vor’m Einschlafen lesen, sondern wenn ich wacher bin…
Was ich etwas nervig finde: Manche Aussage wiederholt sich auch immer wieder: Zeit ist Geld = schlechter Umgang mit der Zeit… ja, das muss ich nicht in mehreren Kapiteln in vielen Sätzen immer wieder lesen. Das habe ich bereits beim ersten Mal verstanden ;-)
Insgesamt würde ich sagen, (zu) wenig konkrete erste Schritte für meinen Alltag und den meiner Umgebung. Daran gedacht ist sehr wohl (es geht in die Richtung: Verzicht kann Gewinn bedeuten, wir müssen eh was ändern über kurz oder lang, …).
Jedoch fällt mir in meinem persönlichen Umfeld niemand ein, der/die z. B. durch eine grobe Darstellung des Zürcher Ressourcenmodells dabei unterstützt werden kann, das eigene Verhalten signifikant zu ändern. Falls doch, bin ich dabei :-)
Fazit: Hintergründe und Lösungsideen. Fein. Stellenweise anspruchsvoll im Lesefluss. Meines Erachtens eher Philosophiebuch als praktische Orientierung. Und doch einen Blick wert.
Themen
- Krisen der Gegenwart
- Zeit – Uhr – Krise
- Physik und Zeit
- Uhrzeitfolgen
- Zeitvielfalt
- Nachhaltige Zeitkultur
Harald Lesch, Karlheinz A. Geißler und Jonas Geißler: „Alles eine Frage der Zeit. Warum die »Zeit ist Geld«-Logik Mensch und Natur teuer zu stehen kommt“. oekom 2021. 20,- EUR. ISBN 978-3-96238-248-3.
Maria