Die lange Reise
„Ich bin für eine Weile nicht auf dem Planeten. Zurück im Mai“ lautet die Abwesenheitsnotiz von Samantha Cristoforetti. Sie ist mal eben weg, für 200 Tage auf der ISS. Bis die Ingenieurin und Pilotin endlich im Orbit ankommt, war es allerdings ein langer Weg. Sehr lang.
Mit Wissbegier, Beharrlichkeit und etwas Glück absolvierte sie die anspruchsvolle Ausbildung. Von Nov. 2014 bis Jun. 2015 war sie mit 5 weiteren Astronaut:innen auf der Internationalen Raumstation (ISS). Von den Lehrjahren über die Zeit im All bis hin zur Rückkehr auf die Erde erzählt sie auf sehr persönliche Weise. Man sitzt ihr quasi auf der Schulter und bekommt alles hautnah mit.
Dabei erfährt man eine Menge: Welche Gedanken begleiten die letzten Stunden vor dem Abflug? Womit entspannt man sich nach einem langen Arbeitstag auf der Raumstation? Wie fängt man einen Raumtransporter ein? Wie ist es so im Team? Ja, auch: Wie ist das mit den Pinkelpausen oder dem Duschen?
Was mir nicht so gefällt… Die Überschriften sind ein bisschen wie Logbucheinträge: Ort, Datum. Sonst verrät der Titel vom Kapitel nix. Das ist zwar dramaturgisch nachvollziehbar, ich hätte es aber vorgezogen, wenn die Titel etwas mehr vom Inhalt verraten hätten, also um was es geht. So, das war jetzt Jammern auf hohem Niveau.
Ein anderer Punkt bekommt eine deutlichere Änderungsempfehlung für die nächste Auflage: Die Illustrationen, die die Station anschaulich darstellen, sind ganz hinten im Buch. Und ich habe erst auf Seite 466 gecheckt, dass es überhaupt Illustrationen gibt. Bis dahin hatte ich nur 1 Zettel gesehen, die handgeschriebenen Notizen zur Prüfungsvorbereitung auf Seite 222. Schade! Zur Orientierung wäre ich gern früher drauf hingewiesen worden (z. B. im Vorwort).
Gut ist, dass es ein Glossar gibt, bei den englischen und russischen Abkürzungen kann man doch mal den Überblick verlieren. Insgesamt finde ich, dass sich das Buch sehr leicht liest (es ist sogar gekennzeichnet, wenn technischere Inhalte kommen, so dass man darüber hinweg blättern kann, wenn man möchte).
Dankbar bin ich für die Tipps, die mir jenseits der Reisegeschichte das Leben erleichtern. Zum einen die Regeln zum Umgang mit Presse und Fernsehen: „Verliere nicht die Geduld. Sag nur, was du wirklich weißt. Diskutiere nicht über Tagespolitik. Rede nicht über dein Privatleben und deine Familie.“
Zum andern das Prinzip: Train hard, fight easy. Das bedeutet, dass man sich auf alle erdenklichen Missgeschicke, seltene Unglücksfälle und minimal wahrscheinlichen Pechsträhnen intensiv vorbereitet. Um es dann im Ernstfall viel leichter zu haben und auch kritische Situationen sehr gut meistern zu können – handwerklich wie mental.
Die Autorin
Samantha Cristoforetti ist 1977 in Mailand geboren worden. Sie studierte Luft- und Raumfahrttechnik an der TU München. Beim Auswahlverfahren der ESA setzte sie sich gegen mehr als 8.400 Bewerber durch und wurde 2009 als einzige Frau unter sechs neuen Astronauten, darunter auch Alexander Gerst, ins Europäische Astronautenkorps berufen. Sie spricht Italienisch, Englisch, Deutsch, Französisch und Russisch und arbeitet im Astronautenzentrum der ESA in Köln.
Fazit: Beeindruckend und inspirierend.
Stationen auf dem Weg „nach oben“:
- Flugplatz
- Space Center
- Sternenstädtchen / Russland
- Houston
- Noginsk
- Baikonur
- Kosmodrom
- Sojus
- ISS
- Namibia
Samantha Cristoforetti: „Die lange Reise. Tagebuch einer Astronautin“. Penguin 2019. 24,- EUR (D) / 24,70 EUR (A). ISBN 978-3-328-60103-6.
Maria