Fehlerintelligenz
Ein spannendes Thema. Für kluge Leute.
Das Buch greift einen Trend auf, den ich seit einigen Jahren beobachte. Das ist schon mal gut. Schade ist, dass der rote Faden fehlt, die einzelnen Unterthemen scheinen mir zusammenhanglos nacheinander, nebeneinander in den Gesamttext gepurzelt zu sein.
Trotzdem, der Ausgangspunkt passt: Die Autorin stellt den Zusammenhang zwischen Fehlern, Erwartungen und Erfahrungen an den Anfang. Da geht es z. B. darum, was so ein Wort wie „richtig“ eigentlich heißt – Begriffe zu klären, wenn man gemeinsam arbeitet, ist mal eine gute Idee. Hier hilft die Liste von Ursachen für Fehler und falsche Prognosen weiter. Gut für die Fehleranalyse und -prävention.
Konstruktiv ist auch die Empfehlung, wie man sich Fehlern auch nähern kann: „Nicht die positive Wirkung unterschätzen, die mit dem Eingestehen von Fehlern einhergeht.“ Und ergänzend: Warum trotzdem viele Leute Fehler nicht zugeben können oder wollen. Dahinter stecken oft genug Ängste (nicht immer, aber oft).
Die andere Perspektive, nämlich der konstruktive Umgang mit Fehlern, ist da die klügere Herangehensweise. Fehler sind oft unvermeidlich, die meisten sind allerdings nicht kritisch. Und deshalb als Chance zum Lernen zu verstehen. Das ermöglicht es überhaupt erst, sich weiter zu entwickeln. Und häufig ermutigen die eigenen Fehler auch andere, sich selbst etwas zuzutrauen, und nicht vor dem ersten Hindernis aufzugeben.
Für die Listenfans unter uns zählt die Autorin Fehlerarten auf, u. a. fehlerhafte oder falsche Informationen, schlechte Kommunikation, Rückschaufehler (Vergangenes falsch interpretieren) usw. Das führt sie weiter aus: Der „Ich-weiß-Bescheid-Modus“, in den viele Experten oder Expertinnen nach langer Beschäftigung mit einem Thema verfallen, verführt dazu, relevante Informationen zu ignorieren. Oder sich selbst zu überschätzen. Oder das, was den eigenen Annahmen widerspricht, einfach zu ignorieren. Vgl. www.tagesspiegel.de/wissen/gehirnforschung-die-grosse-illusion/1840602.html. Oder alles auf einmal.
Im Abschnitt zum Entscheiden gibt es ebenfalls handfeste Hilfen: Entscheidungsprinzipien wie „auf Experten hören“, Mehrheitsprinzip oder Empfehlungen anderer, die dasselbe Problem haben… Neben solchen Hilfen nennt sie noch Stehaufmännchenqualitäten, auch sehr nett. Darf in der nächsten Auflage ruhig etwas ausgeweitet werden, so dass dann auch die Qualitäten vorkommen, die über das Offensichtliche hinaus gehen.
Die gute Nachricht: Die eigene Fehlerrate lässt sich bewusst senken. Nicht runter bis auf Null, klar. Dazu muss man sich die Mühe machen, sich bewusst einer Sache anzunehmen. Und noch eine gute Nachricht: Fehler können überraschend Gutes bewirken (Fehler im Sinne von „unerwarteter Ausgang einer Sache“). Im Grunde haben Fehler immer zumindest EIN Gutes: Man lernt etwas. Immer. Aus den eigenen und aus fremden Fehlern. Passend dazu gibt es beim Abschnitt Fehlermanagement eine Übersicht, wie man klug mit Fehlern umgeht und mit ihnen auch gut lebt.
Die Autorin stellt ihre Darstellungen und Tipps auf eine solide Basis, sie bezieht sich u. a. auf neuere Erkenntnisse der Hirnforschung (vgl. www.faz.net/aktuell/rhein-main/wolf-singer-im-portraet-was-ist-denn-das-fuer-eine-zerebrale-gymnastik-11883634.html). Außerdem liest sich die Literaturliste ganz gut, das aktuelle Who’s Who der Szene ist vertreten.
Leider bringt die Autorin manche klaren Aussagen der Originale in der Kürze des Buches nicht ganz auf den Punkt. Immerhin, was wichtig ist, kommt meist doch rüber. Beispiel gefällig? Formulierung „wozu Fehler da sind“… das meint doch eher „wozu Fehler GUT sind“.
Was ich mir in der nächsten Auflage noch wünschen würde, ist ein bisschen mehr lesefreundliches Layout (Aufzählungen, Absätze, Tabellen, vielleicht mal eine Grafik). Der dünne Band kommt sehr textlastig daher. Und die Internetquellen bitte in die Fußnote, nicht in den Fließtext – wie das im Fließtext wirkt, hab ich hier mal imitiert ; ) Da kommt gleich noch so eine: www.pnas.org/content/105/19/6829.full?sid=c4593f23-863c-44de-b6fc-77b4ae644e84…
Und weil ich wirklich auf die nächste Auflage warte, hier noch ein Hinweis: Manche Formulierungen sind der Sache wenig dienlich, wie etwa hier: „Sie begegnen jeden Tag Tausenden von Menschen, aber nur wenige Beziehungen sind so wichtig, dass …“ Falsch. Ich begegne nicht so vielen Menschen. Schon gar nicht jeden Tag. Hier mischt sich Umgangssprache mit dem Versuch, Denkfehler(!) & Co. zu erklären. Da sollte die Autorin auf mehr Präzision in ihrer Sprache achten. Tipp von mir: Empfehlungen zur „verständlichen Sprache“ beachten, z. B. im Zeitungsarktikel „Verständlich schreiben, technisch kommunizieren“ zu finden.
Und schließlich noch ein Tipp für die inhaltliche Überarbeitung: Manches ist doppelt und dreifach, da könnte sich ein Aufräumen lohnen. Dieselben Tipps werden immer wieder erwähnt und später wieder und nochmal anders zusammengefasst. Ich hab nix gegen Redundanz und zusammenfassende Wiederholung zum besseren Verinnerlichen. Aber dann gezielt und nicht so, dass es wie ungeplant wirkt. Dann könnte das Buch noch kürzer werden.
Hier noch mein Lieblingszitat aus dem Buch: „Die Zukunft soll man nicht voraussehen wollen, sondern möglich machen.“ (Antoine de Saint-Exupéry)
Fazit: Nach einer Überarbeitung kann es richtig gut werden
Themen
- Fehlerdefinition
- Fehlerarten
- Fehlerursachen
- Erfahrung
- Wahrnehmung
- Erwartungen
- … und noch mehr
Stefanie Demann: „Fehlerintelligenz. 30 Minuten“. Gabal 2013. 8,90 EUR (D) / 9,20 EUR (A). ISBN 978-3-86936-526-8.
Maria