Roboterratten als Vorreiter technischer Innovation
Um mit geschlossenen Augen die Umgebung mit den Fingerspizten zu ertasten, dazu bedarf es schon einiger Erfahrung. Während der Sehsinn Informationen über weiter entfernte Objekte liefert, ist der Tastsinn für die Erkundung naheliegender Objekte unersetzlich. Vor allem nachtaktive Tiere verlassen sich weit stärker auf diesen physischen Sinn als auf ihre Augen. Ratten oder Spitzmäuse bewegen ihre Tasthaare in schnellen Bewegungen kontrolliert vor und zurück und ertasten damit ihre Umgebung. Sie erkennen Objekte, bestimmen ihre Form und Oberfläche und verfolgen ihre Beute. Bisher wurde der Tastsinn bei der Entwicklung von intelligenten, lebensähnlichen Maschinen jedoch weitgehend links liegen gelassen. Die gängigen Systeme setzen nur begrenzt Tastsensoren ein, und das für einfachste Aufgaben wie die Wahrnehmung eines physikalischen Kontaktes. Die Biologie dagegen zeigt einen weitreichenden Einsatz des Tastsinnes im Tierreich auf.
Im Projekt BIOTACT liefert die Natur Inspirationen aus der Verbindung der Themengebiete „whisker morphology“ und neuronaler Verarbeitung von Impulsen. Dabei helfen zwei Spezialisten: die norwegische Ratte und die Etrusker-Spitzmaus. Diese Spitzmaus – das kleinste bekannte Säugetier – jagt Beute, die fast so groß ist wie sie selbst, und muss dabei sehr schnell und präzise angreifen. Dabei verlässt sie sich auf ihren Tastsinn. „Die sensomotorischen Leistungen der Etrusker-Spitzmaus sind erstaunlich. Durch moderne Mikroskopietechniken erwarten wir uns neue Erkenntnisse über ihre Hirnfunktion“, sagt Professor Brecht, der Leiter des Berliner Forschungsteams. Er forscht am BCCN und an der Humboldt-Universität.
Neun Arbeitsgruppen aus sieben Ländern bringt das mit 7,3 Millionen Euro geförderte Projekt zusammen, um wissenschaftliche Erkenntnisse über den Tastsinn von Tieren auf künstliche Systeme zu übertragen.
BIOTACT wir von Prof. Tony Prescott von der Universität Sheffield koordiniert. Basierend auf dem Tastsinn verschiedener Tierarten wird sein Forschungsteam zwei Roboter konstruieren, die mit einem ähnlichen physischen Sinnessystem ausgestattet sind. Darunter ist ein Roboter mit Tasthaaren, der bewegte Objekte ausfindig machen, identifizieren und verfolgen kann. „Unser Projekt wird einen Meilenstein im Verständnis des aktiven Tastsinns und der Verwendung von tasthaarartigen Sensoren in intelligenten Maschinen setzen. Indem wir von der Natur lernen und Technologien entwickeln, die diesen physischen Sinn verwenden, werden unsere Wissenschaftler die Fähigkeiten zukünftiger Maschinen enorm verbessern“, sagt Prof. Prescott.
In Zukunft könnte diese Technologie Rettungsrobotern oder Minensuchmaschinen ermöglichen, auch bei Dunkelheit durch unwegsames Gelände zu navigieren und Objekte zu ertasten.
Mehr Infos: BIOTACT (BIOmimetic Technology for vibrissal ACtive Touch): www.biotact.org