Resilienzcoaching für Menschen und Systeme
Mindestens einmal im Leben erleben die meisten Menschen ein gravierendes, potenziell traumatisches Ereignis. Wer alt genug ist, kennt das wahrscheinlich. Dieses Buch stellt Resilienz aus systemischer Perspektive von der praktischen Seite sowohl für den Einzelnen wie für das Unternehmen dar. Resilienz ist kein gegebener Faktor der Persönlichkeitsstruktur, sondern das konstruktive Umgehen mit widrigen Umständen.
Das Buch beginnt mit der Einführung des Resilienzbegriffs auf individuell-persönlicher Sicht, inklusive Stand der Forschung. Eher theoretisch. Der Bogen spannt sich weiter, weit hinein bis in die Vergangenheit und weit hinauf auf Ebene von Staaten, Stichwort: „Kollektive Traumata“.
Neben den psychologischen Grundlagen kommen Aspekte aus Meditation und Zen bzw. Zazen zur Veranschaulichung hinzu. Einige Beispiele sind im Raum Israel/Palästina angesiedelt. Dort leben die Menschen mit ständiger Bedrohung und einer jahrtausendealten Geschichte von Konflikten. Diese Umgebung und die tätlichen Situationen in ihr dienen dem Autor als drastisches Beispiel für schwierige Umstände. Er hat u. a. aufgrund seiner Erfahrungen dort das Buch geschrieben, und das deutlich zukunftsgerichtet.
Seine Synthese und Kern des Buchs: Resilienz kann man lernen, erwerben oder stärken. Insbesondere dann, wenn widrige Erlebnisse, extreme oder andauernde negative Situationen passieren. Klar, sonst brauch‘ ich das ja auch nicht… Das Resultat ist dann ein Wachstumsprozess. Aber Achtung, sehr selten oder eher gar nicht kehrt man in die alte Situation zurück, „wie es vorher war“. Auch klar, das lehrt das Leben.
Was mir gefällt? Unter anderem dies: Der Autor arbeitet heraus, dass es ein Mythos ist, dass alles in Win-Win-Situationen umgedacht werden kann: „Manche Lösungen verlangen einen beträchtlichen Preis.“ Wenn man das weiß, ist der erste Schritt zur Resilienz schon leichter.
Im Buch gibt es mehr zu individueller Resilienz und zum Menschen in der Gesellschaft, als ich dachte. Später kommt auch der Schwerpunkt Arbeitskontext dran. Als Organisation definiert der Autor die Gemeinschaft von Menschen, aus denen eine Organsation besteht und die von dieser Organisation abhängig sind. Im Rahmen eines Sachkontextes und eines Zieles. Die Kernfrage der organisationalen Resilienz ist: „Was müssen Organisationen tun, um ihren Erhalt in schwierigen Zeiten zu gewährleisten?“ Der Inhaltsanteil zum beruflichen Kontext ist eher kurz. Leider. Tatsächlich hatte ich aus dem Beschreibungstext und wegen des Titels „.. Menschen und Systeme“ mehr erwartet. Immerhin gibt es doch ein paar Denkanstöße. Organisationale Resilienz ist demnach die Robustheit unternehmerischer Projekte gegenüber Widrigkeiten wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Natur. Ein wichtiger Punkt hierbei: Erfolg. Vor allem aus Sicht der einzelnen Person. Er liefert Energie, neue Herausforderungen anzugehen. Damit räumt der Autor mit dem Irrglauben auf, dass Erfolg Menschen träge oder übermütig macht. Bravo!
Das Buch ist keinesfalls ein praktischer Ratgeber, sondern liefert eine theoretische Basis. Der Stand der Forschung fließt ein und erfährt durch den Autor eine Bewertung und Einschätzung – hier vor allem die Faktoren und Strategien, bis hin zu Therapien, um Resilienz zu lernen. Zitat:
„Man erreicht Resilienz nicht in einer Wellness-Oase, sondern in der konkreten Konfrontation mit Herausforderungen des Lebens und seiner persönlichen Reaktion darauf. Sie verlangt Einiges an Persönlichkeitsentwicklung. Über den eigenen Schatten springen können, ist nur der Beginn.“
Das Buch ist sehr gut geeignet für Coachingarbeit, sowohl fürs Coaching als auch fürs Selbstcoaching (letzteres ist allerdings anspruchsvoll und – wie immer in solchen Fällen – mit Vorsicht auszuprobieren). Man erhält keine Kochrezepte, sondern erfährt, welches Stück harte Arbeit auf einen wartet; die sich jedoch lohnt: Resilienz üben, d. h. innere Stärke erhöhen und dem Leben besser begegnen können.
Beim ersten Anblick kam mir das Wort „ambivalent“ in den Sinn: Das Titelbild gefällt mir nicht – andererseits trifft es den Inhalt des Buches irgendwie auch ziemlich gut.
„Ambivalent“ ist auch mein Bauchgefühl nach der Lektüre: Manchmal ist es ein „unbequemes“ Buch, und darum gefällt es mir so. Bzw. schätze ich hoch ein, was ich hier lernen kann. Ich kann mich selbst herausfordern. Und das kommt sonst im Leben gar nicht mehr so oft vor.
Fazit: Nix für Leute mit Berührungsängsten – keine leichte Kost, dabei für Laien gut erklärt
Themen
- Resilienz im Alltag und Resilienzfaktoren
- Somatische Erfahrung und Umgang mit Ambivalenzen
- Individuelle und systemische Resilienz
- Eigenverantwortung und Mut
- Kollektive Traumata
- Selbstwirksamkeit in Beziehungen
- Improvisationsfähigkeit, Spiel, Spaß und Humor
- Meditation und Achtsamkeit
- Emotionsregulation und Embodiment
- Kognitive Verhaltenstherapie und Imagery Rescripting
- Organisationale Resilienz
- Resilienz in den Systemdynamiken
- Aufmerksamkeit, Rollen und Beziehungen
- Systembalancen und Systempulsation
- Dialogische Organisationsentwicklung
- Bedürfnisse in Veränderungsprozessen
- Unternehmerische Resilienz in der Praxis
Günther Mohr: „Resilienzcoaching für Menschen und Systeme. [sic!] Soziale Innovation und Change“. EHP 2017. 25,99 EUR (D) / 39,90 CHF (CH). ISBN: 978-3-89797-129-5.
Maria
Viele dank für die interessante Rezension meines Buches, Günther Mohr